Exkursion nach Israel vom 23.4. – 2.5.2017

Blick auf JerusalemVoller Eindrücke und mit mehr Fragen als Antworten sind 10 Studierende des Fachbereichs Sozial- und Kulturwissenschaften von ihrer Exkursion nach Israel zurückgekehrt. An der Reise, die als Kooperationsprojekt zwischen dem DGB NRW und der Hochschule Düsseldorf in diesem Jahr erstmals durchgeführt wurde, nahmen auch fünf junge Mitglieder der IG-Metall teil. Unter Leitung von Marc Neumann (DGB NRW), dem israelischen Reiseführer Ori Strassberg und Adelheid Schmitz (FORENA u. Erinnerungsort Alter Schlachthof der HSD) erlebten 15 junge Menschen hochinteressante Tage in Israel, die eingebettet waren in die zentralen Gedenktage Jom haShoah und Jom haZikaron sowie dem Unabhängigkeitstag Jom haAtzma’ut. Unbeabsichtigt war die Gruppe zur gleichen Zeit in Israel wie Außenminister Gabriel, der wegen seiner Gespräche mit kritischen NGO’s von Ministerpräsident Netanjahu nicht empfangen wurde. Auch diese Entwicklung und die Reaktionen darauf wurden von der Gruppe intensiv verfolgt.

Montag, 24. April: Jom haShoah – Besuch der Histadrut und Zeitzeugengespräch
Der erste Rundgang durch Tel Aviv begann mit der Sirene zu Jom haShoah, dem zentralen Gedenktag für die Opfer der Shoah. Um 10.00 Uhr ertönte die Sirene und für zwei Minuten stand das Leben in Israel still. Auf der Straße blieben alle Menschen stehen, Autos hielten an und die Insassen stiegen aus, um zwei Minuten lang der von den Nazis ermordeten Menschen zu gedenken. Nach diesem tief berührenden Moment ging es weiter zum Kikar Rabin, der Stelle, wo im September 1995 der damalige Ministerpräsident Yitzak Rabin von einem jüdischen Fanatiker ermordet wurde. Dort erläuterte unser Reiseführer den Oslo-Friedensprozess und den Hintergrund der Kundgebung, bei der Rabin aus direkter Nähe erschossen wurde.

Beim anschließenden Besuch der israelischen Gewerkschaft Histadrut begrüßte uns Gershon Gelman, der Vorsitzende der Histadrut Tel Aviv-Yafo. Zvika Sapir, der stellvertretenden Vorsitzende, informierte uns über die Gewerkschaftsarbeit in Tel Aviv sowie die aktuellen Herausforderungen der Histadrut. Die Leiterin der Internationalen Abteilung der Histadrut, Avital Shapira-Sbiro, erläuterte die internationale Arbeit der Histadrut und skizzierte die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Gewerkschaften.

Gespräch mit ZeitzeugenMicky Drill, Friedrich-Ebert-Stiftung Israel, skizzierte die Arbeit der Stiftung und die enge Kooperation mit der Histadrut. Er beleuchtete die deutsch-israelischen Beziehungen und die Bedeutung des Jugendaustauschs. Mit ihm diskutierten wir auch die Frage, was es bedeutet, wenn deutsche Gruppen nach Israel reisen und dort wichtige Gedenktage erleben und mitbekommen, welche Bedeutung die Erinnerungspolitik in Israel hat und welcher Stellenwert die Shoah. Uns wurde bewusst, dass alle Gesprächspartner biografische Bezüge zur Shoah als Nachkommen von rechtzeitig Emigrierten oder Überlebenden der Shoah hatten. Mit einem sehr emotionalen Bericht von zwei überlebenden Zeitzeugen der Shoah endete der Jom haShoah und hinterließ bleibende Eindrücke.

Dienstag, 25. April 2017: Jerusalem – Efrat
Die Tour begann mit Amir Cheshin, dem ehemaligen Berater für arabische Fragen des Bürgermeisters von Jerusalem und führte uns entlang der Sperranlagen in Ostjerusalem. Hier wurden aktuelle Probleme sichtbar und dass Lösungsmöglichkeiten für den israelisch-arabischen Konflikt aktuell in weite Ferne gerückt zu sein scheinen. Noch ist offen, ob es einen Policy Change durch Donald Trump gibt und wie sich dieser auswirken wird.
    
Auf Einladung von Bürgermeister Oded Revivi besuchten wir Efrat, eine jüdische Siedlung in der Westbank. Das Gespräch mit dem eloquenten Politiker und „Außenminister“ der Siedlerbewegung (Chief Foreign Envoy YESHA Council) warf viele Fragen auf, die uns auch auf der Rückfahrt und bei der anschließenden Feedbackrunde weiter beschäftigten. Hier hätten wir – angesichts der Darstellungen des Bürgermeisters von einem angeblich konfliktfreien Zusammenleben von jüdischen Siedlern und arabischstämmiger Bevölkerung in „seiner“ Siedlung – auch gerne mit Kritikern der Siedlungspolitik oder gar Vertretern der arabischstämmigen Bevölkerung diskutiert.

Mittwoch, 26. April 2017: Jerusalem – Yad Vashem – Altstadt
Die Führung durch die Dauerausstellung von Yad Vashem, der zentralen Gedenkstätte für die Opfer der Shoah, der Rundgang über das Gelände mit Besuch der Gedenkhalle, der Kindergedenkstätte, der Skulptur „Janus Korczak und die Kinder des Ghettos“, der „Allee der Gerechten unter den Völkern“ hinterließ viele beeindruckende Erinnerungen, insbesondere die Gedenkhalle für die ermordeten Kinder. Die anschließende Tour durch die Altstadt von Jerusalem öffnete unseren Blick für einen der Brennpunkte des Nahostkonflikts und wichtige Orte der drei monotheistischen Weltreligionen: jüdisches Viertel und die alten römischen Ausgrabungen, Klagemauer, Besuch des Tempelbergs und des Felsendoms (ausschließlich für die muslimischen Studierenden), Grabeskirche und Via Dolorosa. Die Sicherheitslage ermöglichte uns noch ca. 1 Stunde freie Zeit in Jerusalem. Im Kontrast zur „Heiligen Stadt“ erwartete uns nach der Rückfahrt das pulsierende Leben in Tel Aviv mit Cafés und ausgelassener Fröhlichkeit in der Metropole.     

Donnerstag, 27. April 2017: Shalom Daycare Center – Ethopian Absorption Center, Yafo
Besuch im Shalom-Day-Care-CenterEin weiterer Kontrast zum Brennpunkt Jerusalem war der Besuch des Shalom Daycare Center in Yafo, einer jüdisch-arabischen Kindertagesstätte der Frauenorganisation Na’amat. Die friedliche Koexistenz und die gemeinsame Erziehung von Kindern unterschiedlicher Religionen zum Frieden gehört zum Programm dieser Einrichtung. Sowohl bei den Kindern als auch bei den Erzieherinnen gibt es eine strikte Quotierung – eine Hälfte jüdisch die andere arabisch (wiederum quotiert nach Muslimen und Christen). Die Einrichtung arbeitet zweisprachig in Hebräisch und Arabisch. Die Feiertage aller drei Religionen werden gemeinsam begangen. Zur Begrüßung der Gäste aus Deutschland luden die Kinder uns zu einer kleinen Feier mit Gesang und Spielen ein. Ein Besuch, der uns zeigte, dass friedliche Koexistenz so einfach sein könnte...

Der geplante Besuch eines Seminars am Hakibbuzim College in Ramat Aviv und das Gespräch mit der Student Union (vergleichbar dem AStA bei uns) sowie dem Betriebsrat fielen leider aus. Stattdessen besuchten wir das Ethopian Absorption Center in Yafo und informierten uns über die Geschichte der Integration äthiopischer Einwanderer in Israel, über ihre Probleme, aber auch das vielfältige Engagement zur Unterstützung dieser Minderheit. Der anschließende historisch-politische Stadtrundgang durch Yafo vermittelte uns einen Eindruck von der traditionsreichen und wechselhaften Geschichte der Stadt und lieferte Hintergrundinformationen zur Gründung von Tel Aviv und der Proklamation des Staates Israel. Am Abend waren wir von unseren israelischen Gästen von der Histadrut Tel Aviv-Yafo (Gershon und Zvika) zum Abendessen in einem arabischen Restaurant in Yafo eingeladen.    

Freitag, 28. April 2017: Sderot und Kibbuz Magen
Wasserreservoir an der Grenze zum Gaza-StreifenDie Fahrt in die prosperierende Stadt Sderot direkt am Gaza-Streifen öffnete uns die Augen für das alltägliche Leben unter Raketenbeschuss. Wir besuchten einen Kinderspielplatz, auf dem ein Bunker als Spielzeugschlange getarnt ist, diskutierten über die Traumata von Kindern, die hier aufwachsen und konnten uns an einer Polizeistation ein Bild von der Alltäglichkeit der Bedrohung durch Kassan-Raketen machen, von denen einige hier ausgestellt sind.

Nächstes Ziel war der Kibbuz Magen, wo wir im großen Speisesaal zu Mittag aßen. Dani Wiehler, der schon als junger Mann in den Kibbuz kam, schilderte uns anschließend das genossenschaftliche Leben und Arbeiten in Israel, insbesondere im Kibbuz Magen. Beeindruckt von Geschichte und Gegenwart der Kibbuzim ging es mit einem kurzen Halt am Grenzübergang Erez, einem der zentralen Übergänge zum Gaza-Streifen, zurück nach Tel Aviv. Es war kurz vor Shabbat und in Erez relativ ruhig. Zu anderen Zeiten wird hier deutlich, dass es für Palästinenser schwierig ist, diesen stark kontrollierten Übergang zu passieren, dass es aber auch aus humanitären Gründen Genehmigungen gibt, nach Israel einzureisen.

Der Abend in Tel Aviv stand ganz im Zeichen der Vorbereitung auf den Shabbat. Ein Teil unserer Gruppe besuchte mit Ori Strassberg den Shabbat-Gottesdienst in der Synagoge, wo wir auf eine feierliche und fröhliche Stimmung trafen, die wir so nicht erwartet hatten. Mit einem gemeinsamen kosheren Shabbat-Dinner schloss der erlebnisreiche Tag ab.

Samstag, 29. April 2017: Ein Gedi und Totes Meer
Die Fahrt zum Toten Meer, das 428 Meter unterhalb des Meeresspiegels liegt und damit der weltweit tiefst gelegenste See ist, führte uns durch die traumhafte Naturlandschaft der Negev-Wüste. Auf dem Weg zum Wadi David im Naturreservat Ein Gedi, einer wasserreichen Oase, erhielten wir Informationen über die ökologische Situation in der Region, den Wassermangel im Jordan und die Aktivitäten zur Lösung des Problems. Eine kurze Wanderung Richtung Quelle des Ein Gedi-Flüsschens und die Führung durch den gleichnamigen Kibbuz mit botanischem Garten vermittelte uns einen Eindruck, wieviel Engagement und vor allem kluger Umgang mit Wasser es braucht, um mitten in der Wüste Pflanzen wachsen zu lassen. Ein Highlight war der anschließende Besuch am Toten Meer und das Bad im Salzwasser in Kalia Beach, das kein Abtauchen zulässt.

Sonntag, 30. April 2017: Kafr-Qara – See Genezareth – Golanhöhen
Bei einem Zwischenstopp in Kafr-Qara trafen wir auf dem Weg zu den Golanhöhen im Norden Israels Nawaf Masalcha, einen arabischen Israeli. Er wurde in Kafr-Qara geboren, war früher stellvertretender Außenminister sowie ehemaliger Leiter der Internationalen Abteilung der Histadrut. Sein Leben lang engagierte er sich für die Verständigung zwischen jüdischen und arabischen Israelis und bemüht sich bis heute, Lösungen für einen scheinbar aussichtslosen Konflikt zu finden. Das Plädoyer des charismatischen alten Mannes für die Zweistaaten-Lösung und seine Kritik, dass „die Welt“ so wenig tue, um bei der Lösung des Konflikts zu unterstützen, bleiben in Erinnerung.

Bei einer Pause am heute touristischen See Genezareth mit seiner biblischen Geschichte konnten wir den St. Petersfisch zum Mittagessen probieren. Die Weiterfahrt nach Merom Golan stand unter dem Eindruck der Geschichte des 6-Tage-Krieges 1967 und seiner Auswirkungen bis heute. Der Aussichtspunkt auf den Golanhöhen, der einen Blick bis nach Syrien ermöglicht, von wo wir Detonationen - vermutlich entferntes Gefechtsfeuer – hörten, zeigte uns, wie nah der syrische Bürgerkrieg an diesem touristisch gestalteten Aussichtspunkt ist. Die Diskussion über die fragwürdige Funktion der UN-Beobachter an diesem Ort, aber auch über das Engagement Israels für verletzte Syrer beschäftigte uns noch länger. Wieder zurück in Tel Aviv erklang um 20.00 Uhr die Sirene zum Jom haZikaron, dem Gedenktag für die im Krieg getöteten Soldaten und durch Terror umgekommenen Zivilisten. Wieder einmal stand das Leben in Israel für 2 Minuten still.

Montag, 1. Mai 2017: deutsche Botschaft - Jom haZikaron und Jom haAtzma‘ut
Beim Besuch in der deutschen Botschaft in Tel Aviv beleuchtete Sozialattachée Martina Wichmann-Bruche die Perspektive der Diplomatie auf Israel - die Wirtschaft, Soziales, Arbeitsbeziehungen etc. Sie fasste viele der bisher gemachten Eindrücke pointiert zusammen und ordnete sie ein. Im Laufe des Tages ging der Gedenktag Jom haZikaron direkt über in den fröhlich-heiteren Feiertag Jom haAtzma'ut, der zur Erinnerung an die Proklamation des jüdischen Staates durch David Ben-Gurion eingeführt worden war.

Fazit
Zwar waren die Studierenden bei einem Vorbereitungswochenende intensiv auf diese Reise vorbereitet worden, doch alle waren sich einig, dass bei einer Reise nach Israel die Begegnungen und Gespräche mit den Menschen vor Ort nicht ersetzbar seien. Es bestätigte sich, was einer unserer Gesprächspartner als Erfolg einer solchen Reise bezeichnete: Eine Rückkehr mit mehr Fragen als Antworten im Gepäck. Die vielen Fragen wurden bereits bei den ausführlichen Feedbackrunden am Abend diskutiert und werden bei einem Nachbereitungswochenende noch weiter vertieft. Von studentischer Seite kam der Wunsch auf nach mehr Begegnungen mit weniger „Offiziellen“ und mehr jungen Menschen mit kritischem Blick auf ihr Land.

Adelheid Schmitz (Forena/Erinnerungsort Alter Schlachthof HSD)

 

 

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