Spurensuche III – Nachbarschaft, Vertreibung, Erinnerung. „Judenhäuser“ im Regierungsbezirk Düsseldorf (1939-1945)

Gesamt Stadtplan Ddorf mit KurfürstenstrIm Forschungs-Seminar „Spurensuche – Nachbarschaft, Vertreibung, Erinnerung“ unter der Leitung von Alexander Flohé und Joachim Schröder haben die Studierenden ihre Abschlussarbeiten präsentiert. Wie in den vorangegangenen Seminaren ging es um die Erforschung ausgesuchter, noch weitgehend unbekannter früherer Zwangsunterkünfte im Regierungsbezirk Düsseldorf. In diesen Sammelunterkünften wurden Jüdinnen und Juden ab 1938/39 konzentriert, bevor die Gestapo sie ab 1941 in die Ghettos und Mordlager im besetzten Osteuropa deportierte (siehe auch den Artikel in der RP, 8.3.2021).

Die Einrichtung dieser „Judenhäuser“ waren ein wichtiger Schritt im langen Prozess der zunehmenden Entrechtung und Diskriminierung der Jüdinnen und Juden während der NS-Herrschaft. Der Umzug in eine solche Zwangsunterkunft war der letzte Schritt vor der Deportation. Ihres früheren sozialen Umfeldes beraubt, mussten die Jüdinnen und Juden einen Großteil ihrer Habe und ihres Mobiliars veräußern und fortan auf sehr beengtem Raum leben, teilweise mit mehreren Familien in einer Wohnung. Die Konzentrierung der Jüdinnen und Juden in diesen Sammel- und Zwangsunterkünften wurde von der Gestapo angeordnet, in enger Kooperation mit der städtischen Verwaltung, die sich auch um die Neuvermietung der frei gewordenen Wohnungen an nichtjüdische Deutsche kümmerte. Mit jeder der ab Oktober 1941 einsetzenden Deportationen sank auch die Zahl der „Judenhäuser“ – bis die meisten von ihnen „arisiert“ und früheren Bewohner*innen deportiert waren.

Im Sommersemester 2018 und im Wintersemester 2019/20 waren bereits solche Zwangsunterkünfte in Düsseldorf und anderen Städten des Regierungsbezirkes untersucht und z.T. auf einer eigenen Website dargestellt worden. Im aktuellen Seminar erforschten die Studierenden insgesamt acht weitere Zwangsunterkünfte in Düsseldorf, Krefeld, Neuss und Mülheim.

 

Düsseldorf

Abb 01 Wagnerstr. 7In Düsseldorf bemühten sich die Studierenden, Informationen über ehemalige „Judenhäuser“ und ihre Bewohner*innen in der Wagnerstraße 7, der Kurfürstenstraße 59 und der Steinstraße 60 herauszufinden. Das Gebäude in der Wagnerstraße 7 wechselte 1940/41 seinen Besitzer und wurde „arisiert“; mindestens 28 jüdische Bewohner*innen sind laut überlieferter Deportationslisten nachweisbar; die letzten wurden im Juli 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Kontaktaufnahmen mit Anwohner*innen zwecks Informationsgewinnung erwiesen sich durchweg als schwierig – entweder aufgrund der herrschenden Bedingungen (Corona), oder weil offenbar kein Interesse an einer Kontaktaufnahme bestand.

Abb 02 Kurfürstenstr 59

In der Kurfürstenstraße 59, in der Nähe des Hauptbahnhofs, befand sich damals das größte aller Düsseldorfer „Judenhäuser“ – mindestens temporäre 46 Bewohner*innen konnte die Gruppe anhand der überlieferten Deportationslisten und anderer Quellen recherchieren; die meisten von ihnen wurden entweder in das Ghetto in Minsk (Nov. 1941) oder in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Die letzten Bewohner*innen, die bis dahin noch durch ihre nichtjüdischen Mischehe-Partner*innen geschützt waren, wurden im September 1944 verschleppt. Das Gebäude existiert heute nicht mehr – an seiner Stelle befindet sich heute (ungefähr) das große Gebäude der Deutschen Post.

Abb 03 Steinstraße 60

Auch die Steinstraße 60 befindet sich nicht mehr an ihrem historischen Platz! Die heutige Adresse lautet: Stresemannstraße 12, wie eine Anfrage der Studierenden im Katasteramt ergab. Anstelle der früheren „Gaststätte Lubascher“ befindet sich heute ein modernes Bürogebäude. Die Gaststätte war erst 1938 eröffnet worden, wurde aber während der Novemberpogrome schwer verwüstet, zwei Menschen wurden ermordet. 1939/40 wurde die Steinstraße 60 zu einer Zwangsunterkunft, in der bis 1942 mindestens 22 Jüdinnen und Juden untergebracht waren. Sie wurden nach Łódź, Minsk, Izbica und Theresienstadt deportiert.

 

 

Krefeld

Abb 04 Neusser Str 38In der Neusser Straße 38 in Krefeld – das originale Gebäude ist noch erhaltenbefand sich zunächst ein Manufakturwarenladen von Michael und Rosa Levy, die das Geschäft aber 1937 aufgeben mussten. Kurzzeitig eröffnete Alexander Isacsohn 1937 einen Tabakwarenladen, der aber während der Novemberpogrome 1938 komplett zerstört wurde. 1940 mussten die Levys das Haus verkaufen, vermutlich unter Wert. Das Haus war bereits zu einem „Judenhaus“ umfunktioniert worden, in dem bis 1942 insgesamt 39 jüdische Bewohner*innen wohnen sollten, bevor sie nach Łódź, Riga, Sobibór und Theresienstadt deportiert wurden – unter ihnen die früheren Hausbesitzer und Geschäftsinhaber Michael & Rosa Levy und Alexander Isacsohn.

Abb 05 Gedenktafel Karlsplatz 20 Krefeld

Auch das frühere „Judenhaus“ am Karlsplatz 20 in Krefeld existiert noch. Es hat eine wechselvolle Geschichte: Möbelhaus, Filiale des deutschen Textilarbeitervereins, schließlich – nicht untypisch für Krefeld – ein Krawattengeschäft. Bis 1940 waren der Hauseigentümer Ferdinand Siegmann und seine Familie die einzigen jüdischen Bewohner*innen. In kurzer Zeit kamen insgesamt 17 jüdische Bewohner*innen hinzu, sie wurden im Oktober 1941 (Łódź), im April 1942 (Izbica) und im Juli 1942 (Theresienstadt) deportiert. Das Haus wechselte 1942 seinen Besitzer und wurde „arisiert“ (neuer Eigentümer: Anton Maassen). Zur Erinnerung fertigte die Gruppe eine Gedenktafel aus edlem Holz. Auf ihr sind die Namen aller jüdischen Hausbewohner:innen zu lesen. Die Gedenktafel wird entweder am Ort selbst, oder aber in der Villa Merländer, der NS-Dokumentationsstelle der Stadt Krefeld, aufgestellt werden.

Abb 06 Nordstr 27

Das Gebäude der früheren Zwangsunterkunft in der Nordstraße 27 in Krefeld existiert nicht mehr, hier findet sich heute ein Neubau. Früher befand sich hier die Metzgerei der Familie Heilbronn, die allerdings ebenfalls in der Pogromnacht im November 1938 zerstört wurde. Insgesamt 18 jüdische Bewohner*innen konnten die Studierenden ermitteln, von denen 14 deportiert wurden, die meisten nach Izbica (22.4.1942) oder nach Theresienstadt (25.7.1942). Befragte Bewohner*innen oder Passant*innen hatten von der Geschichte des Hauses und ihrer jüdischen Bewohner*innen noch nie etwas gehört.

Neuss und Mülheim an der Ruhr

Abb 07 Küpperstr 2In der Küpperstraße 2 im Stadtteil Grimlinghausen in Neuss wohnten die Geschwister Rosenberg – bis zu ihrer Deportation in das Ghetto Łódź am 27.10.1941. Danach wurde ihr Haus, an dessen Stelle sich heute ein neueres Mehrfamilienaus befindet, zu einer Zwangsunterkunft umfunktioniert, in die mindestens 13 Jüdinnen und Juden einziehen mussten. Die neuen Bewohner*innen kamen teilweise schon aus anderen Neusser „Judenhäusern“, die nach und nach geräumt und „arisiert“ wurden. Die Küpperstraße 2 war schließlich das letzte „Judenhaus“ in Neuss und wurde nach der Deportation seiner letzten Bewohner im Juli 1942 „arisiert“. Es ist das einzige der in diesem Seminar untersuchten Häuser, an dem eine Gedenkplakette über das Schicksal der früheren Bewohner*innen dieses Hauses informiert!

Abb 08 Löhstr 53

In Mülheim an der Ruhr untersuchten die Studierenden ein Gebäude in der Löhstraße 53, das seinerzeit der Jüdischen Gemeinde gehörte und für verschiedene Zwecke der Gemeinde genutzt wurde. Nach der Zerstörung der Mülheimer Synagoge hielt die Gemeinde hier ihre Gottesdienste ab. Die Nazis machten das Gebäude ab 1939 zu einem „Judenhaus“, in dem mindestens 14 Jüdinnen und Juden vor ihrer Deportation untergebracht waren. Das Gebäude wurde am 23.6.1943 während eines Bombenangriffs völlig zerstört. Heute befindet sich auf dem Gelände eine Grundschule. Nichts erinnert mehr an das Jüdische Gemeindehaus in der Löhstraße 53.

Ausblick

Die Forschungen fanden in diesem Wintersemester unter besonders schwierigen Bedingungen statt, zumal viele Archive und Erinnerungsorte derzeit aufgrund der Corona-Pandemie nur eingeschränkt Auskünfte geben konnten (wofür den dortigen Mitarbeiter:innen an dieser Stelle herzlich gedankt sei!). Die durchweg beeindruckenden Ergebnisse werden am kommenden Tag des offenen Denkmals (12.9.2021) im Rahmen einer Ausstellung in der HSD – soweit dies dann hoffentlich wieder möglich sein wird! – der Öffentlichkeit präsentiert werden.

 

Alle Aufnahmen entstammen den Abschluss-Präsentationen der Studierenden. (c) bei den Studierenden.
Ausschnitt Stadtplan Düsseldorf (1910): www.landkartenarchiv.de